Videokonferenzen sind das Tool der Stunde. 

Durch den Rückzug ins home-office aufgrund der Pandemie erleben Anbieter von Videokonferenztools wie zoom, Microsoft Teams und Andere regelrechte Höhenflüge. Die Nutzerzahlen gehen durch die Decke und die Anbieter kommen kaum hinterher, für genügend Kapazitäten zu sorgen und gleichzeitig die Software-Features zügig auszubauen.

Mit steigernder Nutzung macht sich aber auch Ernüchterung breit. Mitarbeiterinnen und Führungskräfte, Trainer, Moderatorinnen und Coaches spüren, wie anstrengend Videokonferenzen, Online-coaching, virtuelle Workshops etc. sein können.

Das Phänomen ist als „zoom fatigue“ bekannt geworden, wird von Psychologinnen und Medienwissenschaftlern erforscht und ist Diskussionsgegenstand vieler Online-Foren und -Magazine.

Videoconferencing: the new normal? (photo courtesy of Chris Montgomery on unsplash.com)
Videoconferencing: the new normal? (photo courtesy of Chris Montgomery on unsplash.com)

Videoconferencing: the new normal?
(photo courtesy of Chris Montgomery on unsplash.com)

Wie wir Videokonferenzen erleben, hängt von vielen Faktoren ab.

Technisch: Bedingt durch technische Beschränkungen und Eigenheiten (z.B. Verzögerungen in der Übertragung) fällt es uns schwerer in Online-Besprechungen flüssige Gespräche zu führen. Unsere Aufmerksamkeit leidet unter fehlenden nonverbalen Signalen und die Wahrnehmung unserer/s Gesprächspartners/in kann kritischer ausfallen als in einem Gespräch „von Angesicht zu Angesicht“.

Sozial: Der Alltag vieler Führungskräfte und Mitarbeiter ist mittlerweile eine Aneinanderreihung von Videokonferenzen, nicht selten mit vielen anderen Mitarbeiterinnen oder mit externen Kunden oder Lieferanten. Der beständige Strom an Informationen (die noch dazu lückenhaft sind und erst aufwendig dekodiert werden müssen) macht ihnen zu schaffen und schafft einen Stresspegel, der sich addiert zu der ohnehin schon hohen Belastung im Alltag in der Pandemie.

Psychologisch: Die Beschränkungen und Auswirkungen von videogestützter Kommunikation sind in vielen Studien beleuchtet worden (bspw. Gruppenarbeit, Therapie, Einwanderungsbehörden). So wurde z.B. schon 2016 in einer Metaanalyse gezeigt, dass die Übertragungstechnik in Bewerbungsprozessen (Telefon oder Video) im Vergleich zu „face-to-face“ Situationen sowohl die Bewertung durch die BeobachterInnen/ InterviewerInnen negativ beeinflusst, als auch das Verhalten der BewerberInnen verändert.

Bei allem Enthusiasmus, was Videoübertragung möglich macht, gilt also auch hier, die Möglichkeiten der Technik mit den Bedürfnissen der Menschen in Einklang zu bringen.

Der Rat der Experten geht daher in unterschiedliche Stoßrichtungen: 

Üben:

  • Da wir auch in Zukunft Videokonferenzen brauchen werden, gilt es, sich mit den Systemen vertraut zu machen und zu üben. Gern auch mit einem befreundeten, technisch versierteren Bekannten, der einen einführen kann.

Vereinbarungen:

  • Es braucht klare Vereinbarungen oder Regeln für Videokonferenzen, wie z.B. zum An- oder Ausschalten der Kamera.
  • Die erste Konferenz in neuer Besetzung sollte jeweils diesem Thema gewidmet sein.

Abwechslung:

  • Etwas körperliche Betätigung während längerer Videokonferenzen kann helfen, die Konzentration auf den eigentlichen Videofluss aufrecht zu halten.

Verzicht:

  • Nicht jedes Gespräch braucht Video. Weichen Sie häufiger auf Telefon aus und nutzen Sie die Möglichkeiten asynchroner Kommunikation (Email, Messenger, Notizen).
  • Bitten Sie die Teilnehmer, ihren jeweiligen Hintergrund „blind“ zu schalten oder möglichst einheitliche, monotone Hintergrundbilder zu verwenden.
  • Lassen Sie sich auf Ihrem Monitor jeweils nur die Sprecherin anzeigen („Speaker View“) und verzichten Sie auf eine virtuelle „Muppetshow“ („Gallery View“).

Struktur:

  • Lassen Sie Ihre Videokonferenzen moderieren – oder lassen Sie den virtuellen „Talking-Stick“ unter Ihren Mitarbeitern oder den Kolleginnen herumreichen, damit jede die Möglichkeit erhält sich zu beteiligen.
  • Bauen Sie bewusst und explizit Zeit ein für „socializing“. Auch in virtuellen Welten wollen Beziehungen gepflegt werden.

Darüber hinaus gibt es eine Menge zu beachten, wenn Videokonferenzen auch in Zukunft effektiv gestaltet werden und MitarbeiterInnen motiviert und gesund digitale Hilfsmittel einsetzen sollen.

Und wundern Sie sich bitte nicht, wenn ich bei unserer nächsten Videokonferenz vorübergehend die Kamera ausschalte. Ich möchte mich einfach ganz Ihrem Anliegen widmen können…



Quellen:

https://www.blog.google/inside-google/working-google/science-why-remote-meetings-dont-feel-same/
https://www.aarp.org/home-family/personal-technology/info-2020/avoiding-video-call-fatigue.html
https://hbr.org/2020/04/how-to-combat-zoom-fatigue
https://www.nationalgeographic.com/science/2020/04/coronavirus-zoom-fatigue-is-taxing-the-brain-here-is-why-that-happens/
https://scholarworks.bgsu.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1023&context=pad
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1207/s15327051hci2103_1
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1071581914000287
https://theconvivialsociety.substack.com/p/a-theory-of-zoom-fatigue
https://www.bbc.com/worklife/article/20200421-why-zoom-video-chats-are-so-exhausting
https://t2informatik.de/wissen-kompakt/zoom-fatigue/
https://www.welt.de/kmpkt/article207918607/Neues-Arbeiten-Warum-Videoanrufe-so-anstrengend-fuer-die-Psyche-sind.html
https://link.springer.com/article/10.1007/s10919-019-00314-1/
https://academic.oup.com/jrs/article-abstract/19/4/433/151017
https://dl.acm.org/doi/abs/10.1145/358916.358945
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/1551806X.2017.1304112